Die Langläufer – Teil 4

Züge im Oberbergischen Land und im Sauerland

1967 – 1977

Biggeexpress

Für das Sauerland war der Bau der Biggetalsperre in der ersten Hälfte der 1960er Jahre ein Riesenprojekt. In diesem Zusammenhang musste die Bahnstrecke zwischen Olpe und Kraghammer bei Attendorn, fast vollständig neu trassiert werden. Dazu wurden viele Baustoffe wie Sand, Kies und Bahnschotter mit Ganzzügen zur Baustelle gefahren.

Zum Sommerfahrplan am 31. Mai 1964 ging die neue Trasse mit mehreren Tunneln und zwei imposanten Talbrücken, auf denen die Eisenbahn in der unteren Etage und die Straße auf der oberen Etage je einen Seitenarm der Talsperre überqueren, in Betrieb.

Bis die Talsperre so weit aufgestaut war, dass sie auch touristisch genutzt werden konnte, sollten aber noch zwei Jahre vergehen.

In den Entwürfen des Sommerfahrplans 1966 zeichnete sich ab, dass die Bahn an dem touristischen Nutzen der neuen Talsperre teilhaben wollte.

An Sonn- und Feiertagen wurde ein Zugpaar Oberhausen – Finnentrop – Olpe, morgens hin und abends zurück eingelegt.

Von Köln über Dieringhausen und Olpe war ebenfalls ein lokbespannter Zug an Sonn- und Feiertagen geplant, der morgens auf der Hinfahrt einen Zubringer als Schienenbus als Zug 1413 aus Betzdorf bekam.

Nachdem im Mai 1965 letztmalig ein Wendezug, bestehend aus drei Silberlingen und einer V 100.2 (spätere Baureihe 212) als Eilzugpaar E 697/698 zwischen Köln und Finnentrop gefahren war, sollte es zu einem Comeback kommen, wenn auch nur an Sonn- und Feiertagen und nur im Sommerfahrplan.

Für den Streckenteil zwischen Dieringhausen und Olpe war das allerdings etwas Besonderes. Hier hatte man seit dem Sommerfahrplan 1958 eine Betriebsruhe von Samstagabend bis Sonntag am späten Nachmittag eingeführt. Und weil der neue Ausflugszug genau in diese Betriebsruhe hineinplatzte, tat sich die Bundesbahndirektion Wuppertal schwer damit.

Um die Bahnhöfe Niederseßmar, Derschlag, Bergneustadt und Wiedenest (Drolshagen war schon seit Juni 1960 an Sonn- und Feiertagen unbesetzt) nicht extra für nur eine Zugfahrt besetzen zu müssen, plante man zunächst diesen Zug ohne betriebliche Besetzung der Bahnhöfe zwischen Dieringhausen und Olpe verkehren zu lassen. (Siehe Ausschnitte aus dem Bildfahrplan Blatt 10    BD Wuppertal vom Sommer 1966)

Dagegen intervenierte das Betriebsamt Olpe, da es bei unbesetzten Bahnhöfen keine Unfallmeldestellen gegeben hätte. Außerdem gab es zwei beschrankte Bahnübergänge am Bahnhof Derschlag, einen am Haltepunkt Oberderschlag (Posten 52), eine Blinklichtanlage am Bahnhof Bergneustadt, die wegen fehlender Halbschranken mit einem Posten gesichert werden musste, sowie einen Bahnübergang am Ostende des Bahnhofs Bergneustadt, der vom ehemaligen Stellwerk „Bo“ bedient wurde.

Die Bahnhöfe wurden schließlich doch besetzt, was aber für das Personal einen nicht sehr geliebten unterbrochenen Dienst bedeutete.

Obwohl der „Biggeexpress“ nicht als Eilzug gefahren wurde, sollten einige Halte entfallen. Die nachfolgende Tabelle zeigt an, was geplant und was tatsächlich daraus wurde.

 

Nachdem es zwischen 1953 und 1960 sowie von 1962 bis 1963 keine Zugverbindungen von Olpe nach Köln und umgekehrt ohne Umsteigen in Dieringhausen mehr gab, stellte sich die Situation mit Durchläufern nun so dar:

Abgesehen vom sogenannten „Biggeexpress“, der ja in erster Linie dazu geschaffen war, Sommerfrischlern einen Ausflug zum Biggesee zu ermöglichen, gab es an Werktagen nur eine durchgehende Verbindung Köln – Finnentrop am frühen Morgen mit dem E 4683 als dreiteiliger Vt 98 von Köln nach Finnentrop. In Gegenrichtung gab es den Vt 98 als Zug 1216 in der Mittagszeit von Finnentrop nach Köln, sowie den Vt 98 als Zug 1232 am späten Nachmittag von Olpe nach Köln.

E 4683 wartet im April 1969 in Bergneustadt um 7.50 Uhr auf den Abfahrauftrag in Richtung Olpe und Finnentrop.  Foto: Horst Kowalski

Die Städte Olpe, Drolshagen und Bergneustadt kämpften in den Fahrplankonferenzen immer wieder darum, umsteigefreie Verbindungen von und nach Köln zu bekommen, die in den frühen fünfziger Jahren zugunsten von Verbindungen Köln – Dieringhausen – Gummersbach (-Hagen) aufgegeben worden waren. Besonders eine Tagesrand-verbindung morgens von Olpe nach Köln und abends von Köln nach Olpe musste wieder her. Und zwar mit einem lokbespannten Personenzug, wie es vom Sommerfahrplan 1960 bis einschließlich Sommer 1961 bereits gelungen war.

Einen Teilerfolg gab es mit dem Sommerfahrplan 1967. Der Zug, der morgens kurz vor sieben von Olpe Richtung Dieringhausen fuhr, hieß nun Zug 4680, bekam in Dieringhausen ein „E“ davor und setzte seine Fahrt ohne Umsteigen als Eilzug nach Köln Hbf fort.

 

Auszug aus dem Kursbuch Sommer 1967

Der Biggeexpress verkehrte nun im 2. Sommer, allerdings hatte man ihn auf der Rückfahrt (Zug 1250) ca. 90 Minuten später gelegt und auch Richtung Köln in Oberderschlag, Derschlag und Niederseßmar halten lassen.

Zum Sommerfahrplan 1968 kam es dann endlich wieder zu einer werktäglichen umsteigefreien Tagesrandverbindung mit einem lokbespannten Zug. Hier der direkte Vergleich:

Auszug aus dem Kursbuch Sommer 1968

An einem Sonntag im Juni 1969 schiebt sich der „Biggeexpress“ um kurz vor Zehn am Wilhelm-Biesterfeld-Stadion vorbei und erreicht wenig später der Bahnhof Bergneustadt. Foto: Horst Kowalski

Für den „Biggeexpress“ habe ich nachträglich auch je einen „Zugbegleiter“ für die Hin- und Rückfahrt im Sommer 1970 entworfen.

Zugbegleiter Zug 2611 Köln - Olpe - Finnentrop im Sommer 1970

Zugbegleiter Zug 2652 Finnentrop - Olpe - Köln im Sommer 1970

Ab dem Sommerfahrplan 1970 hielt der „Biggeexpress“ auch in Niederseßmar, Derschlag und Oberderschlag.

Zu diesem Zeitpunkt wurden vier Eilzugpaare in der Relation Köln – Dieringhausen – Brügge/W. – Hagen eingeführt. Um auch Bergneustadt davon profitieren zu lassen, legte man am Vormittag und am Nachmittag je ein Eilzugpärchen als Anschlussverbindungen von Dieringhausen nach Bergneustadt und zurück ohne Unterwegshalte ein.

Diese Eilzüge bestanden aus einem Solo Vt 95 (inzwischen 795). Da diese täglich verkehrten, mussten die Bahnhöfe Niederseßmar, Derschlag und Bergneustadt nun auch im Winterfahrplan an Sonn- und Feiertagen vorzeitig im unterbrochenen Dienst besetzt werden.

Auszug aus dem Kursbuch Sommer 1970

Auszug aus dem Zugbildungsplan der BD Wuppertal – Sommer 1970

Obwohl diese Eilzüge laut Zugbildungsplan an Wochenenden als Solo 798 oder als dreiteiligem 798 gefahren werden sollten, war es auch an diesen Tagen fast immer ein Solo 795, der nachmittags gute zwei Stunden auf seine Rückfahrt warten musste.

E 2165 kurz nach seiner Ankunft im August 1970. Zwei Stunden Pause bis zur Rückfahrt als E 2166 auf Gleis 2 im Bahnhof Bergneustadt. Fotos Detlef Kowalski

Wenn im damaligen Wilhelm-Biesterfeld-Stadion, sonntags Fußball gespielt wurde, fuhr der Schienenbus oft bis vor das Einfahrsignal zurück, damit sich der Triebfahrzeugführer und der Zugführer die Zeit beim Zuschauen vertreiben konnten.

 

Am 22. Juni 1968 verlässt der Personenzug 1276 Bergneustadt in Richtung Köln. Der Bahnübergang Othestraße hat eine neue Blinklichtanlage bekommen. Der ehemalige Schrankenposten 54 ist aber noch vorhanden.

Foto: Horst Kowalski

Im März um kurz nach halb eins brummt der Zug 2626 Finnentrop – Köln von Bergneustadt nach Oberderschlag. Foto: Horst Kowalski

 

Im Juni 1973 erreicht der „Biggeexpress“ an einem Sonntag um drei nach Zehn den Bahnhof Wiedenest und fährt nach kurzem Aufenthalt weiter zum Biggesee. Kurz darauf wird der Bahnhof Wiedenest in eine unbesetzte Haltestelle umgewandelt und das Bahnhofsgebäude abgerissen.

Fotos: Christoph Marschner

Wer die Langläufer oder Durchläufer als Buchfahrplan sehen möchte, kann meine Zusammenstellung vom Sommerfahrplan 1971 im nachfolgenden Link aufrufen:

Auszug aus dem Buchfahrplan 5 BD Wuppertal Sommer 1971

Fast hätte es geklappt. Ich, damals noch Schüler auf dem Bergneustädter Gymnasium, hatte an das Fahrplanbüro der BD Wuppertal geschrieben und angeregt die beiden Eilzugzubringer, die in Bergneustadt endeten und begannen, bis Wiedenest zu verlängern. Die Standzeit in Bergneustadt hätte locker gereicht und es wäre eine günstige Gelegenheit gewesen, das Fahrplanangebot im oberen Dörspetal zu verbessern, zumal das Busangebot zur dieser Zeit noch nicht so üppig war.

Als der erste Entwurf für den Sommerfahrplan 1972 erschien, habe ich mich riesig gefreut. Meine Anregung hatte Gehör gefunden.

Leider regte sich nun ein anderes Dezernat der BD Wuppertal. Man hatte im Sinn, den Bahnhof Wiedenest in eine unbesetzte Haltestelle umzuwandeln. Bahnhöfe ohne Ausfahrsignale waren nach dem tragischen Unfall bei Dalerau ein Jahr zuvor zu einem Sicherheitsproblem geworden. Einige solcher Bahnhöfe wurden nachträglich mit Ausfahrsignalen ausgerüstet wie z. B. Rotemühle, Niederfischbach, Dalerau. Andere wurden, um Investizionen zu sparen, in unbesetzte Betriebsstellen umgewandelt. Neben Wiedenest betraf das die Bahnhöfe Winterhagen, Gerlingen und Niederseßmar.

Wiedenest war am 2. Juni 1973 letztmalig besetzt, Niederseßmar und Winterhagen folgten am 30. September des gleichen Jahres.

Um dem Bahnhof Wiedenest keine weitere Bedeutung beizumessen und um die ohnehin schon auf den Zeitraum 7:20 bis 14:20 Uhr reduzierte Besetzungszeit nicht verlängern zu müssen, nahm man die von mir vorgeschlagenen Verlängerung der beiden Zugpaare wieder zurück. Der Sommerfahrplan 1972 gestaltete sich wie folgt:

Auszug aus dem Kursbuch Sommer 1972

Schaut man aber genau hin, dann müssten die beiden eigentlich in Wiedenest abfahren, obwohl sie auf dem Hinweg in Bergneustadt endeten. Da hat im Fahrplanbüro der BD Wuppertal jemand nicht aufgepasst.

Kurz vor dem Fahrplanwechsel berichteten die beiden oberbergischen Tageszeitungen, wobei der „Biggeexpress“ in beiden Zeitungen der Aufmacher ist.      

 

Am 26. Mai 1972, links die Oberbergische Volkszeitung, rechts der Kölner Stadtanzeiger

Einmal fuhr der Solo Vt nachmittags für eine Reisegruppe außerplanmäßig bis Drolshagen. Hier bei der Rückfahrt zwischen Wiedenest und Bergneustadt. Foto: Detlef Kowalski

Auszug aus dem Kursbuch Sommer 1973

Im Frühjahr 1974 ist Zug 2635 aus Köln in Wiedenest angekommen und wartet um 18.40 Uhr auf den Abfahrauftrag nach Olpe. Das Bahnhofsgebäude ist bereits abgerissen, der ehemalige Bahnhof nur noch eine unbesetzte Haltestelle.  Foto: Horst Kowalski

Der Sommer 1974 war für den „Biggeexpress“ die letzte Saison. Unbemerkt von der Öffentlichkeit verkehrte er am 22. September 1974 zum letzten Mal.

 

Bei der letzten Fahrt des „Biggeexpress“ am Sonntag, 22. September 1974 hatte ich freiwillig den Dienst am Schrankenposten „Bo“ in Bergneustadt übernommen. Das Wetter und der Auslösezeitpunkt für das Foto waren nicht optimal.  Foto: Christoph Marschner

Am 1. Januar 1975 ist die Bundesbahndirektion (BD) Wuppertal Geschichte. Nachdem der westfälische Streckenteil schon in der ersten Auflösungsphase an die BD Essen übergegangen war, übernahm nun die BD Köln den rheinländischen Teil der BD Wuppertal. Dabei bewahrheitete sich die Erkenntnis, dass eine BD-Grenze der jeweiligen Strecke nicht guttut. Schon beim ersten Fahrplanwechsel unter neuer Regie erfolgte ein Kahlschlag im Fahrplan, dem zwei Drittel des Zugangebots zum Opfer fiel. Es verblieben noch drei Zugpaare, davon eins lokbespannt. Gleichzeitig wurde Betriebsruhe an Wochenenden von Samstagmittag bis Montag am frühen Morgen eingeführt.

 

Am 31. August 1975 gab es ein großes Bahnhofsfest in Olpe. Der Bahnhof feierte sein 100. Jubiläum.

Am 15. und 16. Mai 1976 folgte ein Bahnhofsfest – 80 Jahre Bahnhof Bergneustadt, welches mit dem 675. Stadtgeburtstag und dem 100. Jubiläum der örtlichen Feuerwehr zusammenfiel.

Zum Feiern gab es aber eigentlich nichts mehr. Am 1. Juni 1976 wurde der Stückgutverkehr an fast allen Bahnhöfen der Strecke eingestellt, womit ca. 80 % des Schienengüterverkehrs mit einem Schlag endete.

Für den Bahnhof Drolshagen bedeutete die Schließung der Güterabfertigung nun auch die Umwandlung in eine unbesetzte Betriebsstelle. Die bis dahin noch selbstständigen Dienststellen in Attendorn, Bergneustadt und Engelskirchen verloren nicht nur den größten Teil ihres Personals, sondern gleichzeitig ihre Selbstständigkeit.

Das Kapitel „Langläufer“ oder „Durchläufer“ von Olpe oder gar Finnentrop nach Köln und zurück endete am 20. Mai 1977. Die drei noch verbliebenen Zugpaare wurden auf Vt 95 (795) umgestellt und auf die Laufwege Olpe – Dieringhausen und zurück reduziert. Dieser Zustand wurde bis zum 26. Mai 1979 beibehalten. Dann blieb nur noch ein Pflichtzugpaar bis zum 28. Dezember 1979. Die 1980er Jahre hat der Personenverkehr zwischen Dieringhausen und Olpe nicht mehr erlebt. 

Zug 2626 Finnentrop – Köln im Januar 1974 im Bahnhof Bergneustadt

Zug 2150 (ab Dieringhausen als E 2150) von Olpe nach Köln hat soeben den Bahnhof Bergneustadt verlassen. Mit diesem Zug kamen viele Schüler aus dem oberen Dörspetal und aus dem Kreis Olpe, um in Bergneustadt zur Schule zu gehen.

Beide Fotos: Horst Kowalski

… dem ich bei dieser Gelegenheit ganz herzlichen Dank sagen möchte. Ohne ihn und seine Fotos wären viele Beiträge zur Eisenbahngeschichte in unserer Region kaum möglich.

 

Eine kleine Auswahl aus meiner Fahrkartensammlung.

 

Der letzte planmäßig lokbespannte Zug im Bahnhof Bergneustadt.

Zug 6433 Köln – Olpe. Foto Horst Kowalski

 

Dieser Beitrag stammt von:

Christoph Marschner www.kursbucharchiv.de

Wer sich für diese Thematik interessiert und wer weitere Erkenntnisse zu diesem Thema beitragen kann, möge sich gerne per E-Mail christoph-m@gmx.de mit mir in Verbindung setzen.