Die Langläufer – Teil 3

Heckeneilzüge im Oberbergischen Land und im Sauerland   -   1963-65

Alle Fotos (außer gesondert gekennzeichneten) von Horst Kowalski

Text sowie alle Karten, Pläne und Fahrplanunterlagen von Christoph Marschner

Schauen wir zurück in die erste Hälfte der 1960er Jahre. Deutschland erlebt das so genannte „Wirtschaftswunder“. Man konnte sich mehr oder weniger Wohlstand erarbeiten und das tat man. Es fehlten sogar so viele Arbeitskräfte, dass man in Südeuropa, auf dem Balkan, in Griechenland und der Türkei dafür warb, in Deutschland zu arbeiten.

Die Deutsche Bundesbahn (DB) steckte in einem Dilemma. Die Beseitigung der Kriegsschäden hatte viel Geld gekostet. Viele konnten sich allmählich ein Auto leisten, was sich besonders auf dem Land bei der Auslastung der Personenzüge bemerkbar machte.

Die Defizite der DB, die dadurch und aus weiteren Gründen entstanden, waren von Jahr zu Jahr gewachsen und damit der politische Druck zu rationalisieren.

Erste Rationalisierungen gab es schon in den 1950er Jahren. Die Auflösung des BW Olpe, Einschränkungen im Sonntagsverkehr und Einsatz von Schienen-bussen als Ersatz für lokbespannte Züge sind Beispiele dafür.

In der ersten Hälfte der 1960er Jahre erfolgte auch die Ablösung der Dampflokomotiven durch Diesellokomotiven.

Am 13. November 1962 ging beim Bahnhof Wiedenest ein an alle Bahnhöfe zwischen Königsforst und Olpe gerichtetes Schreiben der Bundesbahndirektion Wuppertal ein, welches aufhorchen ließ (siehe nächste Seite),

Dazu sollte man wissen, dass ab Oktober 1961 zwischen Dieringhausen und Olpe inzwischen alle Personenzüge als Schienenbusse verkehrten und es seither keine umsteigefreien Verbindungen mehr über Dieringhausen oder Olpe hinaus gab.

Das Reisen war wegen des Umsteigens in Dieringhausen und den zum größten Teil sehr schlechten Anschlüssen so unattraktiv, dass sich zum Beispiel die Stadt Bergneustadt immer wieder bei der Bundesbahndirektion Wuppertal beschwert und bessere Verbindungen gefordert hatte.

 

Bei genauer Überlegung ergäbe sich aus dieser Idee eine Einsparung von 25 Stellwerken und ca. 75 Planstellen allein im Stellwerksdienst.

Wendezugbetrieb, höhere Streckengeschwindigkeit und erneute Durchbindung von Zügen Olpe – Köln und Köln – Olpe hätten das Angebot deutlich attraktiver gemacht, als es zu dieser Zeit war, denn die Anschlüsse in Dieringhausen waren überwiegend schlecht und die A4 gab es noch nicht.

Bereits sechs Monate später beim Fahrplanwechsel zum Sommerfahrplan 1963 Ende Mai gab es ein sensationelles Eilzugpaar E 697 Köln – Olpe – Paderborn und E 698 Paderborn – Olpe – Köln.

Ausschnitt aus der Oberbergischen Volkszeitung (OVZ) vom 24. Mai 1963

Da war besonders in Bergneustadt die Freude groß. Als Zeichen dafür, dass diese Zugverbindung sehr willkommen ist, war eine Delegation des Bergneustädter Heimatvereins am Morgen mit dem E 697 nach Paderborn gefahren und ist mit dem abgebildeten E 698 wieder in Bergneustadt eingetroffen. Diese Eilzugverbindung wurde übrigens gerne von Gästen des Feuerwehrerholungsheims in Bergneustadt für die An- und Abreise genutzt.

 

 

Der E 698 Paderborn – Köln an seinem ersten Betriebstag um 18.03 Uhr im Bahnhof Bergneustadt. Auf Gleis 2 Kreuzung mit Personenzug 1283 (Vt 95-Vb- Vb-Vt95) nach Olpe. Das untere Foto zeigt das Ausfahrsignal vor der Othestraße.

Der Laufweg Köln - Paderborn / Paderborn - Köln erinnert an einen Langläufer in der Zeit zwischen 1911 und 1916. Da dieser "Heckeneilzug" die Kardinalsstädte Köln und Paderborn miteinander verband, wurde er besonders im überwiegend katholischen Sauerland "Kardinalsexpress" genannt.

Im ersten Betriebsjahr wurde der „Kardinalsexpress“ von Dieringhausener V 100.1 (211) bespannt, die über keine Wendezugsteuerung verfügten. Obwohl es sich bei dem damals sehr modernen Wagenpark (Silberlinge) um einen Wendezug mit Steuerwagen am östlichen Zugende handelte, musste in Olpe, wo die Fahrtrichtung wechselte, die Lok deshalb umgesetzt werden. Erst zum Fahrplanwechsel Sommer 1964 übernahmen V 100.2 vom Bw Wuppertal-Steinbeck mit Wendezugsteuerung diese Zugleistungen. Die Lok konnte nun am westlichen Zugende verbleiben. Der Zug wurde also von Köln bis Olpe geschoben und von Olpe bis Paderborn gezogen (Gegenrichtung umgekehrt).

In Wiedenest kreuzte der E 697 planmäßig mit dem Personenzug 1274, einem Vt 95 mit Beiwagen. Da Durchfahrten nur auf Gleis 1 zugelassen waren und der Bahnsteig von Gleis 2 nur höhengleich zugänglich war, gab es ein Problem für die Sicherheit der Fahrgäste von oder für Zug 1274. Das zuständige Betriebsamt Olpe löste das Problem pragmatisch und ließ auch Durchfahrten auf Gleis 2 zu.

Da es in Wiedenest keine Ausfahrsignale gab, reichte eine schriftliche Änderung im Bahnhofsbuch.

 

Der E 697 verlässt im Mai 1964 wenige Tage vor dem Fahrplanwechsel und noch mit V 100.1 als Zuglok um 7.53 Uhr den Bahnhof Bergneustadt in Richtung Olpe.

Um sich die Route der beiden Eilzugpaare besser vorstellen zu können, habe ich sie auf einer Streckenkarte mit Rot und Grün kenntlich gemacht.

 

Mit dem Sommerfahrplan 1964, der am 31. Mai in Kraft trat, gab es eine neue Sensation. Es war ein weiteres zusätzliches Eilzugpaar eingelegt worden. Dabei handelte es sich um E 4615 und E 4616. Diesmal von Köln über Olpe, Brilon Wald und Scherfede bis Holzminden und in der Gegenrichtung von Kreiensen über Ottbergen, Wehrden/Weser, Scherfede, Brilon Wald und Olpe nach Köln.

Zwischen Köln und Brilon Wald waren die Laufwege der beiden Eilzugpaare identisch. Während der Paderborner von Brilon Wald dem Almetal folgte, wo lange Jahre der bekannte Heckeneilzug Bremen - Frankfurt/M. verkehrte, folgte der neue Eilzug der oberen Ruhr, um in Scherfede nicht rechts nach Warburg und Kassel, sondern geradeaus auf der eingleisigen Strecke über Beverungen und Wehrden an der Weser bis in das knapp in Niedersachsen gelegene Holzminden. Dort übernachtete der Zug, fuhr am nächsten Morgen als Zug 2403 ins 44 Kilometer östlich an der Magistrale Hannover – Fulda gelegene Kreiensen, um dort um 7.41 Uhr die Rückreise auf der sehr ungewöhnlichen Route über Holzminden – Ottbergen – Wehrden/Weser – Scherfede – Brilon Wald – Wennemen – Wenholthausen – Finnentrop und Olpe nach Köln anzutreten.

Ich hatte mal irgendwo darüber gelesen, dass in Wehrden/Weser speziell für diese Zugfahrt eine Fahrstraßenfestlegung eingerichtet wurde, um über ein Auszieh- und Verbindungsgleis auf das andere Streckengleis wechseln zu können. Dort trafen sich nämlich zwei Eisenbahnstrecken. Eine auf der nördlichen und eine auf der südlichen Seite des Bahnhofsgebäudes. Das machte mich neugierig und ich besorgte mir einen Gleisplan von Wehrden/Weser.

Was die Streckenführung von Kreiensen über Höxter, Ottbergen nach Scherfede so ungewöhnlich machte liegt daran, dass man im Bahnhof Wehrden/Weser nicht ohne Weiteres von der einen auf die andere Strecke wechseln konnte. Das kam bis dahin auch planmäßig nicht vor.

Ich vermute nun, dass sich das Manöver so abgespielt haben muss, wie ich es in den Gleisplan eingezeichnet habe. Eigentlich hätte man aber auch über die Weichenverbindung auf das Streckengleis Richtung Holzminden zurücksetzen können, um auf die andere Bahnhofseite zu gelangen.

Wenn jemand etwas dazu weiß, würde ich mich sehr über solche Informationen freuen. Auch weitere Fotos von den genannten Zügen wären sehr willkommen.

 

Hier noch ein paar Links zu anderen angefahrenen Knotenbahnhöfen:

Link zum Gleisplan Bahnhof Ottbergen  zum Gleisplan herunterscrollen

Link zum Gleisplan Brilon Wald

Link zum Gleisplan Bahnhof Wennemen

Link zum Gleisplan des Bahnhof Finnentrop

Link zum Gleisplan Olpe

Link zum Gleisplan Bahnhof Dieringhausen

Link zu einer Website über die Strecke Holzminden - Scherfede mit Gleisplan Bahnhof Holminden

 

Am 5. Juni 1964 kreuzte der E 4615 mit schiebender V 100 2097 um 17.43 Uhr den Schienenbus 1284 (Vt95+Vb) in Bergneustadt. In Hützemert kreuzte der E 4615 mit dem E 698 von Paderborn nach Köln.

Das Zugpaar E 4615/16 blieb leider ein Geheimtipp. Trotz intensiver Suche in den Zeitungsarchiven konnte ich keine Mitteilungen oder Artikel finden, die auf diese neuen Zugverbindungen hingewiesen hätten.

Was mag die Verantwortlichen bei der BD Wuppertal veranlasst haben, das Eilzugpaar E 4615/16 zu kreieren? Ein echtes Verkehrsbedürfnis lässt sich nicht erkennen. Weder von der zeitlichen Lage, noch vom ungewöhnlichen Laufweg. Wir wissen, dass in der ersten Hälfte der 1960er Jahre bestimmte Strecken ganz oder zu großen Teilen auf Bedienung mit Wendezügen umgestellt wurden. Dazu gehören die Strecken Wuppertal-Vohwinkel – Essen Hbf, Düsseldorf – Solingen – Remscheid – Wuppertal-Oberbarmen und die Verbindungen Dortmund – Hagen – Brügge/W. – Lüdenscheid. Dazu benötigte man wendezugfähige Loks der Baureihe V 100.2 und moderne Nahverkehrswagen, die in Form von so genannten „Silberlingen“, die älteren drei- oder vierachsigen Umbauwagen ablösten. Der Führerstand am anderen Ende des Zuges befand sich vorne rechts im Gepäckabteil eines Silberlings (Steuerwagen des Typs BDnf) und wurde wegen seines behelfsmäßigen Aussehens „Hasenkasten“ genannt.  

Hier ein paar Links zu Fahrplanunterlagen wie sie hätten sein können:

Gesamt- Fahrplanübersicht der beiden Eilzugpaare

Die „Zugbegleiter“ wie sie damals in den D-Zügen auslagen, machen sehr anschaulich, welche Anschlussmöglichkeiten mit dem jeweiligen Zug möglich waren.

Ihr Zugbegleiter E 697 „Kardinalsexpress“ Köln – Olpe- Brilon – Paderborn

Ihr Zugbegleiter E 698 „Kardinalsexpress“ Paderborn – Brilon – Olpe – Köln

Ihr Zugbegleiter E 4615 „Sauerlandexpress“ Köln – Olpe – Brilon – Holzminden

Ihr Zugbegleiter E 4616 „Sauerlandexpress“ Kreiensen – Brilon – Olpe – Köln

 

Im Mai 1965 rollte der E 698 von Paderborn nach Köln auf Gleis 2 in den Bahnhof Bergneustadt ein.

 

Der gleiche Zug an einem anderen Tag in Bergneustadt am Bahnsteig. Auf Gleis 1 steht der Schienenbus nach Olpe, hinter dem der Fahrdienstleiter und Aufsichtsbeamte das Gleis überquert, um dem Eilzug den Abfahrauftrag (Zp9) zu erteilen.

 

Im Sommer 1963, noch mit einer nicht wendezugfähigen V 100.1 des Bw Dieringhausen bespannt, rollt E 698 von Paderborn im Gefälle auf halber Strecke zwischen Bergneustadt und Wiedenest vorbei.

 

Ich selbst bin im Alter von acht Jahren im Sommer 1964 einmal in Begleitung meiner Großmutter im E 698 von Bergneustadt nach Paderborn mitgefahren. Ich war zwar etwas traurig, weil wir nicht in Wiedenest einsteigen konnten, fand es aber großartig ab Olpe auf den neuen Trasse entlang der noch im Bau befindlichen Biggetalsperre zu fahren. Im Jahr davor bin ich mit meinem Onkel oft im VW-Käfer zu den Baustellen gefahren, denn er war selbst Tiefbauer und sehr interessiert an den Bauarbeiten und den großen Maschinen, die dabei zum Einsatz kamen.

 

Im Sommer 1963 war V 100 1272 als Zuglok des E 698 vor dem Steuerwagen bei Eslohe im hohen Sauerland unterwegs nach Paderborn. Foto: C. Bellingrodt, Slg. H. Kowalski 

 

Im Mai 1964 einer der letzten Einsätze der Dieringhausener V 100.1 vor dem E 698 im Bahnhof Bergneustadt. Danach wurde mit V 100.2 geschoben.

 

E 697 mit Wuppertaler V 100 2099 im Lingesten zwischen Bergneustadt und Oberderschlag.

 

Am 21. April 1964 gelang eine ganz besondere Aufnahme. Dem E 698 war zwischen Olpe und Dieringhausen die 50 090 vorgespannt worden. Die Dampflok war an diesem Tag Az-Lok auf der Neubaustrecke an der Biggetalsperre. Um eine Leerfahrt ins Bw und Diesel in der V 100 zu sparen, zog sie den E 698.

Link: Auszüge aus dem Buchfahrplan 5 der BD Wuppertal Sommer 1964

Von den Eilzügen auf der Neubaustrecke zwischen Olpe und Kraghammer habe ich leider keine Fotos zur Verfügung. Lediglich Schmalfilmaufnahmen, denen ich drei Fotos minderer Qualität abringen konnte. Ich zeige sie trotzdem, damit man eine ungefähre Vorstellung davon hat.

 

Im Juli 1963 fährt E 698 noch auf der Alten Trasse durch das Biggetal.

 

Ein Jahr später ist E 697 auf der neuen Trasse unterwegs. Hier auf einer der beiden doppelten Talbrücken, unten Schiene, oben Straße.

 

Die Episode der Heckeneilzüge währte nicht lange. Der „Kardinalsexpress“ E 697/698 verkehrte vom 27. Mai 1963 bis zum 29.05.1965. Der „Sauerlandexpress“ E 4615/16 verkehrte vom 31. Mai bis 26.09.1964, also nur vier Monate, die Dauer der Sommerfahrplanperiode im Jahr 1964.

Bereits im Mai 1966 verkehrte zwischen Finnentrop und Wennemen an der oberen Ruhrtalbahn der letzte Personenzug. Zwischen Serkenrode und Eslohe endete gleichzeitig der Gesamtverkehr.

Was von den beiden Eilzugpaaren zwischen Köln und Olpe blieb, waren E 4683 als Schienenbus Vt 98 dreiteilig Köln – Olpe – Finnentrop in der Zeitlage des E 697, Zug 1216 Finnentrop – Olpe – Köln in ungefährer Zeitlage des E 4616 und Zug 1232 Olpe – Köln in ungefährer Zeitlage des E 698. (1216 und 1232 verkehrten ebenfalls als dreiteiliger Vt 98)

Bei meinen Recherchen ist noch eine Frage ungelöst geblieben, die ich hier gerne zur Diskussion stellen möchte. Sie betrifft das Zugpaar E 4615/16.

Der E 4615 verkehrte von Köln nach Holzminden. Dabei gab es einen Fahrtrichtungswechsel in Olpe. Am frühen Morgen verkehrte der Zug als 2403 von Holzminden nach Kreiensen. Von Kreiensen ging es als E 4616 um 7.41 Uhr über Holzminden nach Köln. Da dieser Zug nun über Ottbergen geführt wurde, war dort ein zusätzlicher Fahrtrichtungswechsel erforderlich. In Wehrden/Weser wurde zwar umgesetzt aber die Fahrtrichtung blieb nach meinen Erkenntnissen bis Olpe die gleiche.

Wenn nun in östlicher Richtung ein und in westlicher Richtung zwei Fahrtrichtungswechsel erfolgt sind, hätte der Zug jeden Tag die Wagenreihung wechseln müssen. Dafür gibt es aber keine Anhaltspunkte. Aus Bergneustädter Perspektive befand sich die wendezugfähige Lok immer auf der Kölner Seite (Aussage von Zeitzeugen) und es gibt keine Fotos die den Steuerwagen in Richtung Köln zeigen.  

Wer zur Klärung dieser und anderer Fragen etwas beitragen möchte, schreibe mir gerne per E-Mail. Auch Fotos und weitere Dokumente sind sehr willkommen.

 

Christoph Marschner www.kursbucharchiv.de

Wer sich für diese Thematik interessiert und wer weitere Erkenntnisse zu diesem Thema beitragen kann, möge sich gerne per E-Mail christoph-m@gmx.de mit mir in Verbindung setzen.

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