Die
Langläufer im Oberbergischen Land und im Sauerland – Teil 2
Ich bin im oberen Dörspetal an der
Grenze zwischen dem Rheinland und Westfalen
aufgewachsen. Die Eisenbahn mit dem Bahnhof Wiedenest verlief am
gegenüberliegenden Talhang, etwa auf gleicher Höhe wie mein Elternhaus. Man
konnte alles sehen und hören, was sich bei der Eisenbahn abspielte. Da es weit
und breit keine Turmuhr gab, spielte sich das Leben im Takt des
Eisenbahnfahrplans ab. Ich war nicht der Einzige, der jeden Zug kannte und die
Pünktlichkeit lag nur ganz knapp unter 100 Prozent. Jedenfalls bei den
Personenzügen.
Kürzlich hatte ich das Kursbuch vom Sommer 1931
aufgeschlagen. Das Jahr in dem mein Vater geboren ist, dachte ich mir und nahm
die heimatliche Kursbuchstrecke etwas genauer unter die Lupe. Ich versetzte
mich gedanklich in den 15. Mai 1931. Ein schöner frühlingshafter Sonntag. Am
offenen Fenster beobachte ich um 22.08 Uhr den P 1197 von Köln nach Olpe und
den im Bahnhof kreuzenden P 1226 von Olpe nach Dieringhausen. Von nun an war
normalerweise Nachtruhe bei der Eisenbahn aber nicht so an diesem Tag. Um 23.32
ertönte ein Pfiff. Erstaunt legte ich mein Buch zur Seite und lehnte mich
erneut
aus dem Fenster. Der Fahrdienstleiter am Bahnhof hatte tatsächlich noch
nicht Feierabend gemacht. Die Bahnsteigbeleuchtung war an und ich hörte den
nächsten Achtungspfiff schon etwas näher. Dort wo das Einfahrsignal aus Richtung
Bergneustadt in einem Einschnitt stand, konnte man den Zug noch nicht sehen
aber schon sehr gut hören. Normalerweise nahm der Lokführer an dieser Stelle
den Regler zurück und ließ den Zug in den Bahnhof rollen. Diesmal geschah das
aber nicht. Die Lok, eine Dieringhauser P8 arbeitete
weiter, schien sogar noch Anlauf für die Steigung zu nehmen, die gleich östlich
des Bahnhofs begann, um ca. sechs Kilometer weiter den Wegeringhausener
Tunnel als Wasserscheide zum benachbarten Sauerland zu erreichen.
Vier Donnerbüchsen mit gedämpftem Licht und ein
Packwagen schleppte die Lok eilend durch den Bahnhof. Ein ganz kurzer Pfiff
quittierte dem Fahrdienstleiter, der mit roter Mütze und grüner Kelle mit Zp9
das nicht vorhandene Ausfahrsignal ersetzte und donnerte gen Pernze, wo der Zug nach einer langgezogenen Rechtskurve aus
der Sicht- und Hörweite entschwand.
Ja, so ungefähr könnte es gewesen sein am besagten
15. Mai 1931. Dem Fahrplanwechsel und dem ersten waschechten Eilzug auf unserer
Strecke.
Aus den wenigen überlieferten Protokollen von
Fahrplankonferenzen, die damals ein- oder zweimal jährlich stattfanden, an
denen auch Vertreter der Kommunalpolitik und der örtlichen Wirtschaft
teilnahmen, kann man einiges entnehmen.
Der Eisenbahnverkehr konnte Ende der 1920er Jahre
gerade erst an das Niveau vor dem ersten Weltkrieg anknüpfen. Die enormen
Reparationsleistungen und die Folgen der französischen Besetzung des
Rheinlandes hatten dazu geführt, dass der Personenverkehr auf der Schiene
drastisch zusammengestrichen worden war. Jetzt, wo sich die Situation langsam
erholte wurde der Ruf nach schnelleren Zugverbindungen laut. Politik und
Wirtschaft forderten Eilzüge, die nicht an jeder Station hielten. Das galt
nicht nur für unsere Strecke, sondern für die gesamte Region.
Um zumindest den guten Willen zu zeigen, fand man bei
den immer noch knappen Kapazitäten ein etwas unerwartetes Eilzugkonstrukt,
welches ich zur besseren Übersicht wie folgt dargestellt habe:
Zwischen Dieringhausen und Olpe verschwand dieses Eilzugpaar nach nur einer Fahrplanperiode. Offenbar ist die Auslastung weit hinter den Erwartungen zurückgeblieben. Ein Hinweis darauf findet sich in einem kurzen Artikel im Sauerläbndischen Volksblatt vom 23. Mai 1931:
Es findet sich in den Pressearchiven leider nichts weiteres, was diese Zugverbindungen bekannt gemacht hätte. Ein weiterer Grund für die geringe Auslastung könnte darin bestanden haben, dass für die Benutzung von Eilzügen ein Zuschlag zu zahlen war:
Tabelle aus dem Reichskursbuch Sommer 1931
Der Zuschlag erscheint nicht gravierend aber man muss ihn in Relation zu den normalen Fahrpreisen sehen. Deshalb ein Beispiel: Eine Fahrt von Dieringhausen nach Bergneustadt (10 km) kostete in der 3. Klasse 40 Reichspfennige (Rpf). Im Eilzug mit Zuschlag immerhin schon 65 Rpf. Das konnte oder wollte sich damals nicht jeder leisten, zumal man bis dato keine Eilzüge kannte.
Karl Warns fotografierte den E 318 im Sommer 1931 auf der Fahrt von Olpe nach Köln unweit seines Wohnhauses zwischen Wiedenest und Bergneustadt. Slg. Chr. Marschner
Zwischen Dieringhausen und Wuppertal-Elberfeld
sowie zwischen Dieringhausen und Köln hielten sich die Eilzüge mit
Veränderungen in der zeitlichen Lage noch bis Ende der 1930er Jahre.
Christoph Marschner www.kursbucharchiv.de
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